03.08.2022
„Wenn jemand eine Reise tut, dann kann er was erzählen…“ Diesem Zitat von Matthias Claudius, einem deutschen Dichter, folgend, reisten sechs Auszubildende der Evangelischen Pflegeakademie „Hasensprungmühle“, Leichlingen, Anfang des Jahres im Rahmen des EU-Programms Erasmus+ nach Finnland, Frankreich und Spanien.
Erasmus+ ist ein Förderprogramm der europäischen Union. Es bietet Auszubildenden oder Student*innen die Möglichkeit, ein Praktikum oder ein Semester im europäischen Ausland zu verbringen. Hierdurch können neue Eindrücke gesammelt und Sprachkenntnisse erweitert werden. Erasmus+ unterstützt bei der Organisation der Einsätze und bietet die finanzielle Grundlage für den Aufenthalt.
Die teilnehmenden Auszubildenden absolvieren gerade ihre generalistische Pflegeausbildung und möchten auch das Gesundheits- und Pflegesystem der europäischen Nachbarländer näher kennenlernen. In einem mehrwöchigen Aufenthalt hatten sie die Möglichkeit, dort in der Pflege tätig zu sein und sich mit den Mitarbeiter*innen der Einrichtungen über die dortigen Begebenheiten auszutauschen. Was ist ähnlich, wo bestehen Unterschiede zur eigenen Ausbildung? Wie sind die Zugangsvoraussetzungen für den Pflegeberuf? Wie sind die Vorbehaltsaufgaben verteilt? Diese Fragen beschäftigten die Teilnehmer*innen während ihrer Auslandsreise. Die Anreise erfolgte mit Bus, Bahn und/oder dem Flugzeug. Die Auszubildenden wohnten in Privatunterkünften oder gemeinsam in kleinen Apartments. „Für die Anreise, Unterkunft und die persönliche Verpflegung sei jeder selbst verantwortlich gewesen“, so Frau M., eine der Mitreisenden.
„Wir haben viele interessante Erkenntnisse gewinnen können“, berichtet Frau F. Sie war in einer Einrichtung für Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen in Savonlinna eingesetzt. Savonlinna ist eine kleine Stadt im Osten Finnlands, 330 Kilometer von Helsinki entfernt. Die Verkehrsanbindung sei schwierig, aber sie hätten Unterstützung von ihren Ansprechpartner*innen vor Ort gehabt. Frau F. berichtet über die Einrichtung, die sie kennenlernen durfte. Die Arbeit dort habe ihr viel Freude bereitet. Die Pflegenden seien zu jeder Zeit ausgeglichen und freundlich gewesen. Diese positive Atmosphäre übertrage sich auch auf die Bewohner*innen.
Ein*e Mitarbeiter*in sei jeweils für fünf Bewohner*innen zuständig. Es gehe hauptsächlich um Betreuung und Beschäftigung, weniger um pflegerische Tätigkeiten. Die Ausbildung unterscheide sich zu unserer pflegerischen Ausbildung. Ein Mitarbeiter habe ihr das System wie folgt erklärt: In Finnland werde studiert. Die Studierenden entscheiden sich entweder für eine Ausbildung zur „Sairaanhoitaja“ (Krankenschwester) oder zur „Terveyshoitaja“ (Gesundheitsschwester). Die Arbeitsbedingungen im Bereich der Pflege älterer Menschen seien auch hier erschwert. Es gebe zu wenig qualifiziertes Personal. Die Mitarbeiter*innen würden immer wieder für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Im Rahmen des Praktikums seien in der Freizeit Ausflüge gemacht worden, um das Land näher kennenzulernen. „Finnland habe eine faszinierende Landschaft“, meint Frau F. „Die täglichen Saunagänge, die zu Beginn ungewohnt erschienen, werden ihr wohl fehlen“, fügt sie mit einem Schmunzeln hinzu.
„Die Pflegenden vor Ort seien ihrerseits aber auch sehr daran interessiert, wie Ausbildung in der Pflege in Deutschland erfolge“, betont Herr F. Er habe sich bewusst für Frankreich entschieden. Mit diesem Land fühle er sich persönlich verbunden. Er könne auch ein bisschen Französisch. Durch den gesprochenen Dialekt sei der Austausch vor Ort in Saint Omer, genauer in einer kleinen Gemeinde mit dem Namen Aire-sur-la-Lys, jedoch erschwert gewesen. Man habe aber alles getan, um ihm seinen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Er sei sehr herzlich empfangen worden. Nach einiger Zeit sei es auch mit der Verständigung besser geworden.
Er habe viel über die Struktur des Gesundheits- und Pflegesystems gelernt. Die Struktur des Krankenversicherungssystems sei dort auch anders geregelt als in Deutschland. In der Pflege sei insbesondere auf einen persönlich wertschätzenden Umgang im multiprofessionellen Team viel Wert gelegt worden. Das habe ihm sehr gut gefallen. „Ich habe an den Übergaben teilgenommen und in der ersten Woche habe ich den Pflegenden im Büro über die Schulter schauen dürfen. Abschließend habe ich Pflegeassistent*innen in der Praxis begleitet. Insgesamt war ich von dem Praktikum wirklich begeistert, es war sehr abwechslungsreich.“ In der Tageszeitung vor Ort wurde über den Besuch des Auszubildenden berichtet. „Das war eine besondere Anerkennung“, berichtet Herr F. stolz.
Zwei Auszubildende hatten sich für Spanien entschieden. „Hier sei sehr deutlich geworden, wie unterschiedlich die Systeme doch sind“, meint eine Teilnehmerin. Aufgrund der unterschiedlichen Ausbildungswege in Deutschland und Spanien hätte es bezüglich der Einsätze und Aufgabenverteilungen Missverständnisse gegeben. Es seien auf beiden Seiten Irritationen entstanden. Diese Situation konnte auf organisatorischer Ebene schnell geklärt werden. Transparenz und ein guter kommunikativer Austausch waren hier zielführend. Diese Aspekte stellen auch eine wichtige Grundlage für eine qualitativ hochwertige pflegerische Tätigkeit dar, unabhängig vom jeweiligen Land.
Nach der Reise teilen die Auszubildenden dieselbe Überzeugung: Die Teilnahme an dem Programm war lehrreich. Alle haben wertvolle Erfahrungen und Eindrücke im Gepäck, auf die sie nicht mehr verzichten wollen. Sie möchten den zukünftigen Auszubildenden ans Herz legen, diese Chance nicht ungenutzt zu lassen. Denn dann haben sie etwas, von dem sie erzählen können, und etwas, das ihren persönlichen beruflichen Lebensweg in besonderer Weise bereichern wird. Der nächste Kurs wird Anfang 2023 wieder auf Reisen gehen - dann stehen auch Österreich, Zypern, Belgien, die Türkei und Malta für ein Praktikum zur Auswahl.
Katharina Bettermann-Osenberg
Berufspädagogin im Gesundheitswesen M. A.